"Interessenverbände von Sexworker:innen" (=
Zuhälterverbände) weisen bei jeder Diskussion auf die Ablehnung
des Nordischen Modells durch große Nichtregierungsorganisationen hin.
Die Gründe werden selten hinterfragt und klar gestellt:
Anfang 2014, im Rahmen der Überarbeitung der
Prostitutionsgesetzgebung Nordirlands, hörte
die Northern Ireland Assembly die Prostituierte Laura Lee, Mitglied
der INTERNATIONAL UNION OF SEX WORKERS (IUSW) an, wobei
sich herauskristallisierte:
"NIA: Gibt es irgendwelche
Zuhälter oder solche, die Profit aus dem Organisieren von
Sexuellen Dienstleistungen schlagen in Ihrer International Union of
Sex Workers?
Laura Lee: Einige der Mitglieder sind Manager,
ja.
NIA: Also, sie sind Zuhälter.
Laura Lee: Nun, wenn Sie
diese Bezeichnung verwenden möchten, ja.
NIA: Also, es ist
nicht einfach nur eine Vereinigung von Sexarbeitenden; sondern auch
von solchen, die Sexarbeitende kontrollieren.
Laura Lee: Ja.
NIA:
Welche große Mengen von Geld machen und das Leben von
Sexarbeitenden kontrollieren.“
Der Gründer
dieser IUSW, Douglas Fox, dessen Partner John Dottery eine
Escort-Agentur leitet, hat erheblichen Einfluss auf die
Menschenrechtsorganisation AMNESTY INTERNATIONAL ausgeübt,
welche sich 2015 gegen das Nordische Modell und für eine
Entkriminalisierung des Gewerbes positionierte. Argumentiert wurde
mit Rechten von Freiern, anstelle von Rechten der sich
prostituierenden. "Sexuelles Verlangen und sexuelle Aktivität
sind ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Diejenigen zu
kriminalisieren, die nicht willens oder in der Lage sind, sich dieses
Bedürfnis auf traditionellem Weg zu erfüllen, ist eine
Verletzung ihres Rechts auf Privatheit und unterminiert das Recht auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit und Gesundheit."
In
der Stellungnahme von Amnesty wurden nicht einmal die Hälfte
aller von ihnen befragten Frauen aus der Prostitution erwähnt.
Wer sich etwa als Menschenhandelsopfer outete, tauchte darin nicht
auf. Laut Interview mit dem Magazin Newsletter forderte Fox seine
Anhänger auf, Amnesty beizutreten, um sie von innen heraus zu
bearbeiten. „Amnesty auf unsere Seite zu kriegen, wird
unserem Ziel einen riesigen Schub geben. Wir müssen sie
gnadenlos bearbeiten und auf unsere Seite kriegen.“, wird
er zitiert. [1][2][3]
Die größte Lobbyorganisation,
GLOBAL NETWORK OF SEX WORK PROJECTS (NSWP), hat ebenfalls Anteil
daran. Amnesty bezog sich auf zwei Berichte. Einen des United Nations
Programme on HIV/AIDS (UNAIDS), bei dem das NSWP den Co-Vorsitz hatte
und einen der World Health Organization (WHO), die sich dafür
bei einer gewissen Alejandra Gil bedankte. Diese wird heute noch auf
der NSWP-Homepage aufgeführt als "eine bekannte
Aktivistin für die Rechte von Sexarbeiterinnen und seit den
1980er-Jahren in der Sexarbeiterrechtsbewegung aktiv. Sie war
gewähltes Vorstandsmitglied und Vizepräsidentin von NSWP.
Sie vertritt lateinamerikanische Sexarbeiterinnen in einem globalen
Netzwerk und hat oft an grossen internationalen Veranstaltungen
teilgenommen, darunter der Welt-Aids-Konferenz und hochrangigen UN
Treffen."
Gil wurde allerdings bereits seinerzeit in
Mexiko zu 15 Jahren Haft wegen Menschenhandels verurteilt, was man
dort selbstverständlich damit herunterzuspielen versucht, dass
sie lediglich gemanagt hat und die Gesetze in Mexiko schuld seien.
[4][5]
Im Jahr 2019 wurde eine Studie zum nun
implementierten Sexkaufverbot in Nordirland veröffentlicht, die
beweisen soll, dass dieses nicht funktioniert und die Straftaten
gegen Prostituierte erhöht, sowie ihr Ansteckungsrisiko für
Geschlechtskrankheiten, obgleich das Drängen auf Verkehr ohne
Kondom durch Freier bekanntermaßen hierzulande bereits seit
langem Usus ist. Auf diese Studie berufen sich etwa die Deutsche
Aidshilfe und die Diakonie Deutschland, welche sogar Qualitätssiegel
für Bordelle vorschlägt. Daten für die Studie wurden von
Escort Ireland geliefert, einer Zuhälteragentur also, deren Gründer
Peter McCormick und späterer Leiter und Sohn Mark McCormick bereits wegen
illegaler Bordelle und Werbeportalen vorbestraft waren.
Den Forschern um Graham Ellison von der Queen's University Belfast war das Betreten von Bordellen,
um die Daten- und Faktensammlung überhaupt angemessen durchführen zu können,
bei Zugehörigkeit zur organisierten Kriminalität zu gefährlich, so schreiben
sie selbst in ihrer Zusammenfassung. Allein, dass derlei Agenturen und Bordelle dort noch
existieren zeigt, dass die Gesetze nach Nordischem Modell nicht korrekt umgesetzt werden. [6][7][8]
Anfang 2021 machte die Global Alliance Against Traffic in Women (GAATW), mit Sitz in Bangkok,
wohl nicht zum ersten Mal, fragwürdige Aussagen zum Sexkaufverbot. Eine Studie aus
Kanada, wo es implementiert ist, sei ein erneuter Beweis dafür, dass dieses den
Menschenhandel nicht eindämme und zu mehr Gewalt gegen
Prostituierte führe. Die Rede war im Artikel des CENTRE FOR
GENDER & SEXUAL HEALTH EQUITY, auf welchen sie sich bezogen und der mit einem
Foto des Lobbysymbols roter Regenschirm verziert ist, von
bedauernswerten Helfern der Prostituierten - hiermit waren nicht etwa
Sozialarbeiter gemeint, sondern Manager. Denn diese sind ja jetzt kriminell.
Von erhöhter Polizeischikane war außerdem die Rede - konkretisiert allerdings so,
dass sich Prostituierte zum Schutz ihrer besagten Helfer nicht bei der Polizei melden wollten.
Die Bitte an GAATW, aufzuzeigen, wo die kanadische
Gesetzgebung von der Polizei verlangt, Leute zu schikanieren, wurde
ignoriert.
Bei Kontaktaufnahme zu ihrem deutschen Zweig, den
bundesweiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK), in dem
wiederum viele deutsche Beratungsstellen organisiert sind, gab es eine Rückmeldung
von Geschäftsführerin Sophia Wirsching, in der sie schreibt:
"Es gibt
tatsächlich mittlerweile eine Vielzahl von Studien, die belegen,
dass ein Verbot von Sexarbeit nicht zu einem Rückgang von
Menschenhandel und zu einem Anstieg von Gewalt gegen Sexarbeit führen
kann.
Wenn Sie sich für die Thematik interessieren, dann
empfehle ich Ihnen diese kurze Übersicht des Deutschen Instituts
für Menschenrechte mit entsprechenden Literaturhinweisen."
Zum einen wird hier das Sexkaufverbot, bzw. Nordische Modell von einem Verein,
der es besser wissen müsste, als Verbot von Sexarbeit bezeichnet - also als
Vollverbot. Vom von tatsächlich gegen Menschenhandel kämpfenden
Aktivist:innen abgelehnten Begriff Sexarbeit ganz zu
schweigen. Zum anderen fiel bei der Betrachtung der empfohlenen
Stellungnahme des Instituts für Menschenrechte auf, dass diese sich
auf bereits oben genannte Studien beziehen, u.a. von niemand geringerem
als dem von Bordellbetreiber:innen geführten Berufsverband
erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) beeinflusst wurde, und zudem
Sozialarbeitervereinen vorwirft, es schließlich nur mit Armuts- und
Zwangsprostituierten zu tun zu haben - eine interessante Argumentation. [9][10]
Wird man bei einer, dank Lobby, liberalisierten Gesetzgebung aktiv und weist Behörden auf
Zwangsprostitution hin, etwa wegen besonders auffälligen
Berichten aus Freierforen und durch Beobachtungen vor Ort, erhält
man in den meisten Fällen keinerlei Feedback. Oder aber man
erhält Schreiben wie dieses:
Die Unschuldsvermutung bei Profiteur:innen der Prostitution, die, im Gegensatz zu ihren als Dienstleister:innen betrachteten Opfern, alle Möglichkeiten haben und einfach etwas anderes machen könnten, steht in diesem Bereich der Umsetzung von Menschenrechten im Weg. Nordisches Modell, jetzt!
Tobias Kilian
[2] https://www.nytimes.com/2015/08/01/world/europe/amnesty-international-weighs-decriminalization-of-prostitution.html
[3] https://www.emma.de/artikel/amnesty-von-sexindustrie-lobby-unterwandert-330443
[4] https://www.theguardian.com/commentisfree/2015/oct/22/pimp-amnesty-prostitution-policy-sex-trade-decriminalise-brothel-keepers
[5] https://www.nswp.org/swleader/alejandra-gil
[6] https://www.independent.co.uk/voices/northern-ireland-prostitution-nordic-model-trafficking-a9113436.html
[7] http://www.niassembly.gov.uk/assembly-business/official-report/committee-minutes-of-evidence/session-2013-2014/january-2014/human-trafficking-and-exploitation-further-provision-and-support-for-victims-bill-dr-graham-ellison-and-dr-susann-huschke-queens-university-belfast-/
[8] http://www.justice-ni.gov.uk/sites/default/files/publications/justice/report-criminalisation-paying-for-sex.pdf
[9] https://www.facebook.com/GlobalAllianceAgainstTrafficInWomen/posts/3782080915185007
[10] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Stellungnahme_Prostitution_-_Sexkaufverbot_10.2019.pdf
Vorgeschichte: https://abolition2014.blogspot.com/2015/07/aids-geld-lobbyarbeit-und-hurenprojekte_30.html